TV Termine Zeitgeschichte

9. Juli, 20.15 - 21.00 Uhr (45 Min.) WDR
Wie die Dampfer vom Rhein verschwanden
Dokumentation
Es ist erst einige Jahrzehnte her, da zogen Dampfwolken durch das Rheintal im Siebengebirge, da tönten Schiffshörner durch den Duisburger Hafen. Majestätisch zogen die Dampfer über den Strom, im Schlepp ein halbes Dutzend Kähne. Hunderte von Schleppschiffen, Bugsierbooten und schweren Dampfschleppern - "Räderbooten" - bestimmten das Bild des Rheins, zwischen Industrieromantik und großer Freiheit.

Schon seit zwei Jahrtausenden fahren Schiffe auf dem Rhein. Früher segelten sie oder wurden getreidelt. Wind oder Pferdekraft brachten sie gegen die Strömung voran - von Holland bis in die Schweiz. Ein mühsames Unternehmen. Manchmal mussten die Schiffsleute sogar selbst ins Geschirr.

Mit der Industrialisierung explodierte im 19. Jahrhundert der Bedarf an Eisen und Stahl. Das Land zwischen Ruhr, Emscher und Rhein wurde innerhalb weniger Jahrzehnte die wichtigste Montanregion des Kontinents. Bergbau, Eisen- und Stahlindustrie brauchten Transportmittel. Erz und Grubenholz mussten herangeschafft, Kohle und Stahl in alle Welt verteilt werden. Es war die Stunde der Schifffahrt, der Beginn des goldenen Zeitalters der Dampfer.

Die Erfindung der Dampfmaschine bedeutete für den Rhein eine Revolution. Nun stand eine Antriebskraft zur Verfügung, stärker als jeder Wind, stärker als hundert Pferde. Schwere Dampfschlepper – die „Räderboote“ – konnten nun die Rheinkähne ziehen. Zechen und Hütten gründeten eigene Reedereien, und aus kleinen Handelshäusern wie der Duisburger Firma Haniel wurden Großkonzerne.

Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich das kleine Städtchen Ruhrort, an der Mündung der Ruhr in den Rhein gelegen, zur bedeutendsten Hafenstadt der Binnenschifffahrt. 1901 eröffnete dort die Schifferbörse, die die Schiffer vor der Willkür der Frachtmakler schützte. Als Ruhrort 1905 mit Duisburg vereinigt wurde, erreichte der Warenumschlag des Hafens 13 Millionen Tonnen. Hunderte von Frachtkähnen warteten auf Ladung und auf einen Dampfschlepper, der sie rheinauf oder rheinab ziehen konnte.

Die einzelnen antriebslosen Frachtkähne gehörten meist Privatunternehmern, „Partikuliere“ genannt. Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es rund 12.000 in ganz Deutschland. Die schweren Dampfschlepper, die „Räderboote“, die sie auf dem Strom zogen, waren im Besitz von Reedereien.

Nur große Unternehmen konnten das Geld für die schwimmenden Ungetüme aufbringen und in die neue Technik investieren. Immer größere und stärkere Kolosse wurden bei den Werften in Auftrag gegeben, wie die „Oscar Huber“ mit drei Dampfmaschinen, mehr als 1500 PS und sechzehn Mann Besatzung.

Die Arbeit mit den Schleppkähnen war hart. Die größten Schleppzüge umfassten bis zu acht Kähne und waren einen Kilometer lang. Die Verantwortung für 8000 Tonnen Ladung, die Kähne, den Schlepper und insgesamt dreißig Mann Besatzung trug der Kapitän des Schleppdampfers.

Der gefährlichste Teil auf dem Strom war der Mittelrhein zwischen Koblenz und Mainz, die „Gebirgsstrecke“, wie die Schiffer sagen. Die Untiefen und Engstellen, die Loreley und die nur 30 Meter breite Durchfahrt durch das „Binger Loch“ forderten die volle Konzentration der Schiffer. Das schwere Ruderrad der antriebslosen Kähne ließ sich bei der heftigen Strömung nur mit enormer Anstrengung bewegen.

Der Zweite Weltkrieg brachte die Rheinschifffahrt zum Erliegen. 1945 waren fast 300 Schleppdampfer und mehr als tausend Frachtkähne auf dem Grund der westdeutschen Flüsse versenkt. Nicht nur durch Bomben und Beschuss - die Deutschen hatten ihre Schiffe zum Teil selbst zerstört.

Wie überall im Land begannen nach Kriegsende die Aufräumarbeiten. Schiffe wurden gehoben, Brücken repariert. Im Herbst 1945 war der Rhein wieder behelfsmäßig schiffbar. Aber Fahrten, die vorher nur ein paar Tage brauchten, dauerten nun drei oder vier Wochen. Erst nach fünf Jahren war der Fluss freigeräumt – und 70 versenkte Radschlepper waren wieder flott gemacht.

Mit dem Wirtschaftswunder kam auch die Rheinschifffahrt wieder in Schwung. Doch die Hoch-Zeit der Dampfer sollte nicht lange währen. Gegen Ende der 50er Jahre kamen Schubboote mit Dieselmotoren auf.

Als die Kohlenkrise Anfang der 60er Jahre auch die Bergwerkskonzerne im Ruhrgebiet traf, suchten sie nach kostengünstigeren Transportmitteln. Die Reedereien bauten schwere Schubverbände, wie es sie bisher nur auf dem Missisippi gab. Sie boten gewaltige Ladekapazitäten bei geringen Personalkosten und sollten bald die Schleppzüge verdrängen.

Nach und nach verschwanden die Raddampfer. Die „Oscar Huber“ trat 1967 ihre letzte Fahrt an. Als einziger Radschleppdampfer auf dem Rhein entging sie der Verschrottung und ist heute Museumsschiff in Duisburg.

Für die Schiffseigner, die noch nicht motorisiert hatten, brachen schwere Zeiten an. Wer es sich leisten konnte, rüstete um. Hatte Anfang der fünfziger Jahre erst ein Viertel der Schiffe auf dem Rhein einen eigenen Dieselmotor, stellten zehn Jahre später die Motorschiffe die große Mehrheit.

Der Rhein ist über die Jahrzehnte zu einer Schiffsautobahn geworden. Ein gutes Stück Romantik ist dabei verloren gegangen. Heute stehen die selbstständigen Schiffer in hartem Wettbewerb mit den Großreedereien und Billiganbietern. Gut sechstausend Männer und Frauen fahren noch unter deutscher Flagge. Zu Zeiten der Dampfer waren es wohl zehnmal so viele.  
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Bild: Die Besatzung des Schleppdampfers Franz Haniel XIV. Die Riesenschlepper hatten bis zu 16 Mann Besatzung. Bildquelle: WDR

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