TV Termine Zeitgeschichte
2. August, 7.15 - 7.30 Uhr (15 Min.) Phoenix
Meine Geschichte: Friedliche Revolution 1989
Beate Nagel
Meine Geschichte: Friedliche Revolution 1989
Beate Nagel
Reihe, Folge 2
Das Jahr 1989 war überhaupt schon aufregend. Wir, das sind mein Mann Erhard, meine Kinder Stefan und Cindy, und ich, waren wie immer in Ungarn. In der BILD-Zeitung konnten wir täglich lesen, wie viele Touristen Tag für Tag über Österreich in den Westen flüchteten und jeder träumte für sich.
Es war Juli, niemand ahnte etwas von dem Unvorstellbaren, das unser Leben verändern sollte. Unsere ungarischen Freunde wollten uns aufnehmen. Es war schon eine gewisse Unruhe, aber wir konnten unsere unausgesprochenen Gedanken nicht ausführen, denn wir waren mit einem geliehenen Auto unterwegs.
Unser Trabi stand zu Hause, das Auto von Erhards Chef war eben schneller und größer; eine Rückkehr war unumgänglich. Wir wussten nicht, dass man daheim schon Wetten abgeschlossen hatte, ob wir überhaupt zurückkommen.
Ja, und dann hatte ich meiner Schwägerin versprochen, in ihr neues Unternehmen einzusteigen; die Bewirtschaftung der Burggaststätte in der Heimatstadt ab dem 1. September. Obwohl ich in der Finanzökonomie tätig war, hatte ich mich entschlossen, zum Aussteiger zu werden. Ich hatte mir diese Entscheidung nicht einfach gemacht, aber ich hätte meine Schwägerin nicht im Stich gelassen und irgendwie reizte mich diese neue Aufgabe. Erhard blieb ja technischer Leiter in einem kleinen volkseigenen Betrieb.
Was konnte also schon passieren? Mein Chef versprach mir, dass ich jederzeit wieder zurückkommen konnte. So war das eben damals in der DDR. So begannen wir am 1. September unsere Arbeit in der Gaststätte und am Eröffnungstag war nach einer Stunde unsere Speisekarte ausverkauft; absolute Panik. Trotz der vielen Aufregung versäumten wir keine Nachrichten.
Wir waren innerlich von den vielen Ereignissen so aufgewühlt und irgendwann gingen wir jeden Donnerstag in den Dom zu den Friedensgebeten. Ich hörte den mutigen Sprechern zu, doch habe leider nicht den Mut gefunden, es ihnen nachzumachen. Ich wusste doch genau, was ich sagen wollte. Anschließend marschierten wir im Schweigemarsch zum Rathaus und jeden Donnerstag wurden es mehr Menschen.
In der Gaststätte plante die Kellnerin ihre Reise nach Prag und ich merkte, dass ich für die Arbeit am Tresen und in der Küche nicht geschaffen war. Ja, und dann war es wieder ein Donnerstag, der 9. November, und wir gingen in den Dom. Der Pfarrer verlas ein Telegramm, er sprach von Reisefreiheit, aber so richtig verstand niemand dessen Bedeutung. Erst als wir zu Hause Fernsehen sahen, verstanden wir es schon ein kleines bisschen besser. Wir guckten die ganze Nacht was in Berlin geschah, wir lachten und ich weinte.
Am nächsten Tag fehlten die Kellnerin und unser Koch; alles war so unwichtig geworden. Meine Schwägerin und unser Schwager planten ihre Ausreise. Silvester 1989 war unser letzter Tag in der Burggaststätte; es war eine tolle Silvesternacht. Ich glaube, ich war die erste arbeitslose Frau in unserer Stadt. Am 1. Februar 1990 hatte ich wieder meinen alten Arbeitsplatz, wie versprochen.
Die erste gemeinsame Reise in den Westen führte uns nach Uelzen. Wir waren alle so aufgeregt; unsere Kinder hatten einen Wunsch frei. Ich glaube, wir waren sehr stolz und glücklich. Immer wieder musste der Mann meiner Schwester sein Erlebnis erzählen, als er am 10. November ganz allein an einem kleinen Grenzübergang nach Brome stand und wartete, und plötzlich öffnete sich die Grenze.
Wenn ich heute nach zwanzig Jahren einen Grenzübergang in Deutschland und Europa befahre, habe ich noch immer dieses „Kribbeln im Bauch“. Erinnerungen werden automatisch wieder wach und ich bin froh, dass es so ist.
Das Jahr 1989 war überhaupt schon aufregend. Wir, das sind mein Mann Erhard, meine Kinder Stefan und Cindy, und ich, waren wie immer in Ungarn. In der BILD-Zeitung konnten wir täglich lesen, wie viele Touristen Tag für Tag über Österreich in den Westen flüchteten und jeder träumte für sich.
Es war Juli, niemand ahnte etwas von dem Unvorstellbaren, das unser Leben verändern sollte. Unsere ungarischen Freunde wollten uns aufnehmen. Es war schon eine gewisse Unruhe, aber wir konnten unsere unausgesprochenen Gedanken nicht ausführen, denn wir waren mit einem geliehenen Auto unterwegs.
Unser Trabi stand zu Hause, das Auto von Erhards Chef war eben schneller und größer; eine Rückkehr war unumgänglich. Wir wussten nicht, dass man daheim schon Wetten abgeschlossen hatte, ob wir überhaupt zurückkommen.
Ja, und dann hatte ich meiner Schwägerin versprochen, in ihr neues Unternehmen einzusteigen; die Bewirtschaftung der Burggaststätte in der Heimatstadt ab dem 1. September. Obwohl ich in der Finanzökonomie tätig war, hatte ich mich entschlossen, zum Aussteiger zu werden. Ich hatte mir diese Entscheidung nicht einfach gemacht, aber ich hätte meine Schwägerin nicht im Stich gelassen und irgendwie reizte mich diese neue Aufgabe. Erhard blieb ja technischer Leiter in einem kleinen volkseigenen Betrieb.
Was konnte also schon passieren? Mein Chef versprach mir, dass ich jederzeit wieder zurückkommen konnte. So war das eben damals in der DDR. So begannen wir am 1. September unsere Arbeit in der Gaststätte und am Eröffnungstag war nach einer Stunde unsere Speisekarte ausverkauft; absolute Panik. Trotz der vielen Aufregung versäumten wir keine Nachrichten.
Wir waren innerlich von den vielen Ereignissen so aufgewühlt und irgendwann gingen wir jeden Donnerstag in den Dom zu den Friedensgebeten. Ich hörte den mutigen Sprechern zu, doch habe leider nicht den Mut gefunden, es ihnen nachzumachen. Ich wusste doch genau, was ich sagen wollte. Anschließend marschierten wir im Schweigemarsch zum Rathaus und jeden Donnerstag wurden es mehr Menschen.
In der Gaststätte plante die Kellnerin ihre Reise nach Prag und ich merkte, dass ich für die Arbeit am Tresen und in der Küche nicht geschaffen war. Ja, und dann war es wieder ein Donnerstag, der 9. November, und wir gingen in den Dom. Der Pfarrer verlas ein Telegramm, er sprach von Reisefreiheit, aber so richtig verstand niemand dessen Bedeutung. Erst als wir zu Hause Fernsehen sahen, verstanden wir es schon ein kleines bisschen besser. Wir guckten die ganze Nacht was in Berlin geschah, wir lachten und ich weinte.
Am nächsten Tag fehlten die Kellnerin und unser Koch; alles war so unwichtig geworden. Meine Schwägerin und unser Schwager planten ihre Ausreise. Silvester 1989 war unser letzter Tag in der Burggaststätte; es war eine tolle Silvesternacht. Ich glaube, ich war die erste arbeitslose Frau in unserer Stadt. Am 1. Februar 1990 hatte ich wieder meinen alten Arbeitsplatz, wie versprochen.
Die erste gemeinsame Reise in den Westen führte uns nach Uelzen. Wir waren alle so aufgeregt; unsere Kinder hatten einen Wunsch frei. Ich glaube, wir waren sehr stolz und glücklich. Immer wieder musste der Mann meiner Schwester sein Erlebnis erzählen, als er am 10. November ganz allein an einem kleinen Grenzübergang nach Brome stand und wartete, und plötzlich öffnete sich die Grenze.
Wenn ich heute nach zwanzig Jahren einen Grenzübergang in Deutschland und Europa befahre, habe ich noch immer dieses „Kribbeln im Bauch“. Erinnerungen werden automatisch wieder wach und ich bin froh, dass es so ist.
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Bild Beate Nagel in Italien - Bildquelle: Mein-Herbst-89.de
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